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Nacht in Paris

Aus: Suche nach mehr, Roman

In der Dämmerung machte sich Carola auf den Weg. Außer ihrer falschen Carte d’identité besaß sie einen ebenso falschen Laissez-passer-Ausweis, der ihr auch nachts die Straßen zu betreten erlaubte. In ihrer Handtasche befanden sich die Druckschriften, die so rasch wie möglich wieder aus der Mansarde fortgeschafft werden mussten. Sie nahm die Metro und fuhr bis zu einer Station, die nahe an einem Soldatenkino lag. Aus dem Tunnel nach oben steigend, breitete sie mit weitem Schwung einen Stapel Flugblätter über die Treppe nach unten aus und glitt in die Dunkelheit.

Als Carola die Mansarde betrat, machte sie kein Licht. Doch Agnes hatte sie gehört. „Alles in Ordnung?“ fragte sie – „Ja.“ – „Komm ein bisschen.“

Still lagen sie aneinander geschmiegt. Der Himmel stand als matt schimmerndes Rechteck im Dunkel der Kammer. Die Nacht schien den Atem anzuhalten. Vergessen, Ruhe, Geborgensein in den Armen der Freundin. Nicht der Kampf, der überall tobte, der auch war zwischen Mann und Frau, wenn alles darauf hinauslief, dass man sein Recht gewann oder verlor, dass einer oben lag und einer unten. Die Liebe der beiden Frauen war nicht diese herzzerreißende Anstrengung, Liebe möglich zu machen, zu befreien, zu erhalten.

Die Wimpern der beiden streiften sich. Unten auf der Straße fuhr ein Auto. Eine Tür schlug. Ein unterdrückter Schrei erklang. Die Luft war warm. Wie ein leiser, ferner Donner rollte die Metro in der Tiefe.

Carola lag mit geschlossenen Augen. Bin ich dir untreu, John? Das Gegenteil von Treue ist Verrat. Gestände ich im Verhör, wer mir in Deutschland geholfen hat, so wäre das Verrat. Aber Liebe ist nicht Verrat, auch Liebe mit Leib und Seele nicht. Liebe ist groß und gut und umschließt mehr als nur einen Menschen, dachte sie. 

2013

 

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