PROBEN
Bündnisse
Aus: Eröffnungsrede für eine Konferenz von Akademie der Wissenschaften und Kulturbund der DDR zum Thema Schriftstellertreffen „Verteidigung der Kultur“ 1935 in Paris.
Bündnisse verlangen, wie man weiß, das Eingehen auf den anderen, ohne den eigenen Standpunkt zu verleugnen. Sie bestehen darin, Gemeinsamkeiten zu finden und hervorzuheben, ohne prinzipielle Meinungsverschiedenheiten zu vertuschen, und schließlich gemeinsam zu handeln. So sehr das zu lernen und zu üben sein mag, so alt ist der zugrunde liegende Gedanke der Toleranz.
Diese humanistische Idee lässt sich zurückverfolgen bis zur Französischen Revolution und zur Aufklärung und noch weiter in die Vergangenheit, bis zu Voltaire und Lessing, bis zu Pierre Bayle und Paul Fleming. Ich meine, dass der Gedanke der Toleranz heute fruchtbar und notwendig ist in der Einsicht, dass er ethnische, nationale, kulturelle und religiöse Vorurteile zugunsten des sozialen Fortschritts und des internationalen Zusammenwirkens abbauen hilft.
Heinrich Mann hat ihn zur progressiven Grundidee seines großen, in Frankreich entstandenen Romanwerkes über den französischen König Henri Quatre gemacht. Gewiss wurden auf dem Pariser Kongress Meinungen mehr ausgetauscht als auf einen Nenner gebracht. Wie unterschiedlich waren zum Beispiel die Entwürfe von Heinrich Mann und von André Gide, dem Urheber des Wortes vom „kommunistischen Individualismus“, oder von André Malraux, dem späteren Gaullisten und Kommandeur einer bewaffneten Brigade der Résistence. Dennoch wurde der Kongress in all seiner historischen Bedingtheit und Kompliziertheit auch für das Beispiel eines literarischen und politischen Bundes genommen, das positiv auf die weitere Entwicklung wirkte.
1985
|